OLG Hamm – (Förderkreis der Forschungsstelle für Pharmarecht der Philipps-Universität Marburg e.V.)
Urteil des OLG Hamm vom 15.12.2017, Az. 26 U 74/17.
Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 15.12.2017 entschieden, dass eine ärztliche Behandlung, die trotz Wahlleistungsvereinbarung mit dem Chefarzt nicht von diesem durchgeführt wird, auch bei persönlicher Anwesenheit des Chefarztes während der Operation mangels wirksamer Einwilligung des Patienten rechtswidrig ist.
Die Klägerin ist der gesetzliche Krankenversicherer der verstorbenen Patientin. Die Patientin befand sich in stationärer Behandlung im ebenfalls beklagten Krankenhaus. Neben dem Krankenhausaufnahmevertrag wurde in einer Wahlleistungsvereinbarung eine Chefarztbehandlung vereinbart. In dieser wurde zudem festgehalten, dass im Verhinderungsfall eine Versorgung durch einen als Vertreter benannten Arzt erfolgen darf.
Statt des Chefarztes führte ein ihn vertretender Arzt eine Koloskopie durch, bei der es zu einem Einriss im Bereich der Rektumschleimhaut kam. Der Chefarzt war bei dem Eingriff in der Funktion des Anästhesisten anwesend. Postoperativ wurde eine intensiv medizinische Behandlung erforderlich, bei der eine Sepsis auftrat. Wenige Tage später verstarb die Patientin.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Ersatz der in Folge der Koloskopie entstandenen Nachbehandlungskosten. Der Eingriff sei mangels persönlicher Durchführung durch den Chefarzt rechtswidrig gewesen. Die Beklagten vertreten demgegenüber die Auffassung, die ärztliche Aufgabenverteilung bei der Koloskopie habe den Anforderungen der Wahlleistungsvereinbarung entsprochen. Der Chefarzt sei bei der Operation persönlich anwesend gewesen und habe diese ständig beobachtet und überwacht.
Ebenso wie die Vorinstanz hat das OLG Hamm der Klage stattgegeben und einen Anspruch der Klägerin auf Ersatz der geltend gemachten Aufwendungen bestätigt. Die Behandlung der Patientin war mangels wirksamer Einwilligung insgesamt rechtswidrig. Die Voraussetzungen der Wahlleistungsvereinbarung wurden nicht eingehalten.
Ist eine Behandlung durch einen bestimmten Arzt vereinbart, muss der Patient rechtzeitig aufgeklärt werden und zustimmen, wenn ein anderer Arzt an seine Stelle treten soll. Fehlt diese wirksame Einwilligung in die Vornahme des Eingriffs, ist dieser rechtswidrig.
Das OLG führte weiter aus, dass der Patient eine solche Vereinbarung im Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des von ihm gewählten Arztes schließt, die er sich in Sorge um seine Gesundheit gegen Entrichtung eines zusätzlichen Honorars für die Heilbehandlung sichern will. Demzufolge muss der Wahlarzt die seine Disziplin prägende Kernleistung persönlich und eigenhändig erbringen. Insbesondere muss ein als Wahlarzt verpflichteter Chirurg die geschuldete Operation selbst durchführen. Bei der Koloskopie handelt es sich um einen operativen Eingriff, bei dem es maßgeblich auf die Fähigkeiten des Operateurs ankommt, so dass der Chefarzt die Koloskopie selbst hätte durchführen müssen.
Es lag auch kein zulässiger Vertretungsfall im Sinne einer unvorhergesehenen Verhinderung vor. Vielmehr war der beklagte Chefarzt bei der Koloskopie als Anästhesist anwesend. Durch seine Anwesenheit beim Eingriff hat er jedoch nicht die vereinbarte persönliche Leistung erbracht, da eine Beeinflussung und Überwachung des Eingriffs des anderen Arztes nicht mit dem eigenhändigen Führen der chirurgischen Instrumente zu vergleichen ist. Auch lehnt das OLG Hamm, Bezug nehmend auf die aktuelle Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 19. Juli 2016 – VI ZR 75/15, vgl. Newsletter 10/16), den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens ab.
Quelle: Marburger Briefe zum Pharmarecht
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