Bundessozialgericht Az: B 3 KR 2/08 R – Entscheidungsdatum: 25.06.2009
Entscheidung des Revisionsgerichts trotz verfahrensfehlerhafter Revisionszulassung durch das LSG – Krankenversicherung – Hilfsmittel – zusätzliche Versorgung eines beinamputierten Versicherten mit einer Badeprothese
Leitsätze
1. Hat das Landessozialgericht über eine Berufung verfahrensfehlerhaft durch den bestellten Berichterstatter des Senats entschieden, kann im Revisionsverfahren von einer Zurückverweisung abgesehen und durch entschieden werden, wenn feststeht, dass der Rechtsstreit in einer ganz bestimmten Weise zu entscheiden ist (Erg_nzung zu BSG vom 8.11.2007 – B 9/9a SB 3/06 R = SozR 4-1500 _155 Nr 2).
2. Ein beinamputierter Versicherter, der mit einer normalen Laufprothese ausgestattet ist, kann von der Krankenkasse grundsätzlich die zusätzliche Versorgung mit einer wasserfesten Prothese (Badeprothese) beanspruchen (Weiterentwicklung zu BSG vom 10.10.1979 – 3 RK 30/79 = SozR 2200 _182 Nr 55).
Tatbestand
1. Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einer wasserfesten Unterschenkelprothese (auch Bade- oder Schwimmprothese genannt).
2. Der 1941 geborene Kläger ist nach der Amputation des linken Unterschenkels von der beklagten Krankenkasse mit einer normalen Laufprothese und – im Jahre 1992 – mit einer Badeprothese ausgestattet worden, die aber mittlerweile funktionsuntauglich geworden und nicht mehr zu reparieren ist. Unter Vorlage einer vertrags_rztlichen Verordnung vom 7.4.2003 und eines Kostenvoranschlages eines Sanitätshauses vom 16.4.2003 beantragte der Kläger die erneute Versorgung mit einer Badeprothese. Die Beklagte lehnte die Ersatzbeschaffung ab, weil der Kläger im häuslichen Bereich ausreichend mit Hilfsmitteln versorgt sei und er die Badeprothese nur zum Schwimmen benötige. Sportliche Betätigungen und Freizeitaktivitäten z_hlten aber nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des t_glichen Lebens, sodass eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausscheide. Zum Behinderungsausgleich beim Gehen und Stehen sei die Badeprothese nicht erforderlich; dafür stehe die normale Laufprothese zur Verfügung. Um diese im Schwimmbad nutzen zu können, sei sie aber bereit, den Kläger mit einem sog “Xero-Sox”-Beinschutz auszustatten. Diese Latexüberzüge müssten nur über die normale Laufprothese gezogen werden und seien wasserdicht (Bescheid vom 12.6.2003, Widerspruchsbescheid vom 7.7.2003). Der Kläger lehnte das Angebot als nicht gleichwertig ab.
3. Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, er benötige die Badeprothese nicht nur zum Schwimmen (Schwimmbad, Thermalbad, Urlaub am Meer), sondern auch zu Hause beim Duschen und Baden. Zudem sei sie für n_chtliche Toilettengänge vorteilhaft, weil sie sich schneller anlegen lasse als die Alltagsprothese.
4. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 5.1.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil geändert und die Klage abgewiesen (Urteil des Berichterstatters vom 11.12.2007). Es hat ausgeführt, die Funktionen des Gehens und Stehens seien auch bis zum Rand eines Schwimmbeckens und eines Gew_ssers durch die vorhandene Laufprothese sichergestellt. Das Schwimmen selbst gehöre nicht zu den elementaren menschlichen Grundbedürfnissen. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) im Jahre 1979 entschieden, das Schwimmen diene bei Beinamputierten der Befriedigung des Grundbedürfnisses auf sportliche Betätigung zur allgemeinen gesundheitlichen Vorsorge, sodass eine Badeprothese von der Krankenkasse zur Verfügung gestellt werden müsse. Diese Rechtsprechung sei aber überholt. Für sportliche Freizeitaktivitäten sei die GKV nicht eintrittspflichtig. Mehr als die angebotenen Latexüberzüge könne der Kläger zur Ermöglichung des Schwimmens jedenfalls nicht verlangen. Sofern der Beinschutz nicht wasserdicht abschliessen und die Alltagsprothese deshalb besch_digt werden sollte, gehe dies zu Lasten der Beklagten, die dann eine neue Prothese zur Verfügung stellen müsse, sodass dem Kläger insoweit kein Nachteil drohe. Im häuslichen Bereich sei der Kläger auf kostengünstigere Hilfsmittel zu verweisen (Duschhocker, Badewannenlift, Unterarmgehstützen).
5. Mit der vom Berichterstatter des LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe zu Unrecht die Voraussetzungen des _33 SGB V verneint. K_rperersatzstücke wie Prothesen dienten dem unmittelbaren Behinderungsausgleich und damit immer der Befriedigung eines Grundbedürfnisses, hier des sicheren Gehens und Stehens in Bereichen, in denen er mit Wasser bzw N_sse in Berührung komme und daher die nicht wasserfeste Alltagsprothese wegen der Besch_digungsgefahr nicht zu verwenden sei. Damit biete die Badeprothese wesentliche Gebrauchsvorteile zur Verbesserung der Stand- und Gangsicherheit im Alltagsleben. Der angebotene Beinschutz sei dafür kein vollwertiger Ersatz. Ausserdem müsse jedem Menschen eine “sportliche Grundbetätigung” ermöglicht werden, die bei Beinamputierten am besten durch das regelmässige Schwimmen erfolge; deshalb sei die GKV leistungspflichtig.
6. Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11.12.2007 zu _ndern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 5.1.2006 zurückzuweisen.
7. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8. Die Revision des Klägers ist begründet. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Versorgung mit der begehrten Badeprothese gemäss _33 SGB V. Daher war das zusprechende erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.
9. Der Senat ist an einer den Rechtsstreit abschliessenden Entscheidung in der Sache nicht gehindert. Er war nicht gehalten, das vom Berichterstatter des LSG als Einzelrichter getroffene Urteil (_155 Abs 4 SGG) aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (_170 Abs 2 Satz 2 SGG) , obgleich das Berufungsurteil – legte man die Rechtsprechung des 9. Senats des BSG zugrunde (Urteil vom 8.11.2007 – B 9/9a SB 3/06 R -, BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 _155 Nr 2) – unter Verletzung des Anspruchs der Beteiligten auf Entscheidung durch den “gesetzlichen Richter” (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) zustande gekommen ist und ein solcher grundlegender Verfahrensfehler regelmässig zur Zurückverweisung an den eigentlich zust_ndigen Spruchk_rper führt.
10. a) Nach der oa Rechtsprechung des 9. Senats des BSG hat der Vorsitzende oder der bestellte Berichterstatter eines Senats des LSG im Fall der Vorlage entsprechender EinverständniserKlärungen der Beteiligten nach pflichtgemässem Ermessen darüber zu entscheiden, ob er von der durch _155 Abs 3 und 4 SGG eingeRäumten Befugnis Gebrauch gemacht, den Rechtsstreit allein zu entscheiden, oder ob es aus sachlichen Gründen bei der Entscheidung des Rechtsstreits durch den Senat – in voller Besetzung, _33 SGG – verbleibt. Bei einer Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung sei eine Entscheidung allein durch den Vorsitzenden oder den bestellten Berichterstatter in der Regel ermessensfehlerhaft und damit verfahrensfehlerhaft (BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 _155 Nr 2, jeweils RdNr 20 – 23 mit weiteren Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen) . Der Verfahrensfehler führe als absoluter Revisionsgrund – auch ohne Rüge – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG (_202 SGG iVm _547 Nr 1 ZPO, _170 Abs 2 Satz 2 SGG).
11. b) Der erkennende 3. Senat hat sich zu der Frage, ob der Vorsitzende oder der bestellte Berichterstatter des LSG in den fällen des _155 Abs 3 und 4 SGG einen Rechtsstreit ohne Verstoss gegen Art 101 Abs 1 Satz 2 GG allein entscheiden darf, wenn er der Sache grundsätzliche Bedeutung beimisst oder er mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des BSG abweicht und dementsprechend auch die Revision zul_sst, bisher nicht ge_ussert. Der Senat neigt der Rechtsauffassung des 9. Senats im Grundsatz zu, dass dies im Regelfall zu verneinen ist; er sieht Ausnahmen zB bei folgenden Fallgestaltungen: Eine Entscheidung durch den Vorsitzenden oder den bestellten Einzelrichter dürfte dann ohne Verstoss gegen Art 101 Abs 1 Satz 2 GG in Betracht kommen, wenn der LSG-Senat in voller Besetzung (_33 SGG) einen Rechtsstreit entschieden und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der dabei massgeblichen Rechtsfrage die Revision zugelassen hat (_160 Abs 2 Nr 1 SGG) und nunmehr Parallelverfahren anstehen, die zur Entlastung des Senats mit Einverständnis der Beteiligten vom Vorsitzenden oder dem bestellten Berichterstatter nach Massgabe der Leitentscheidung des Senats entschieden werden. ’Ühnlich dürfte es sein, wenn zum Zeitpunkt der LSG-Entscheidung bekannt ist, dass vergleichbare fälle mit grundsätzlicher Bedeutung bereits beim BSG anh_ngig sind.
12. c) Einer abschliessenden Entscheidung des erkennenden Senats zu diesem Problemkreis bedarf es jedoch nicht. Selbst bei Annahme eines Verstosses gegen Art 101 Abs 1 Satz 2 SGG hat der dann gegebene absolute Revisionsgrund (_202 SGG iVm _547 Nr 1 ZPO) nicht zwangsl_ufig zur Folge, dass der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muss (_170 Abs 2 Satz 2 SGG) . Die Anordnung der Zurückverweisung in dem vom 9. Senat entschiedenen Fall (BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 _155 Nr 2, jeweils RdNr 24) enth_lt nach dem Gesamtzusammenhang der dortigen Entscheidungsgründe nicht etwa einen neuen allgemeinen Rechtssatz, dass in solchen fällen immer so zu verfahren ist und keine Ausnahmen vorgesehen sind, sondern folgt lediglich der st_ndigen Rechtsprechung des BSG (vgl etwa Urteil vom 14.9.1994 – 3/1 RK 36/93 -, BSGE 75, 74, 77 = SozR 3-2500 _33 Nr 12) , dass die Zurückverweisung bei absoluten Revisionsgründen den Regelfall darstellt. Die Zurückverweisung war danach nur prozessuale Rechtsfolge der konkreten Sach- und Rechtslage jenes Falles, wonach der Berichterstatter bereits den Streitgegenstand ungenau erfasst hatte und in der Sache mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Diskussion standen, die von der Beantwortung diverser Rechtsfragen abhingen.
13. Verfassungsrechtliche Schutzvorschriften haben dort ihre Grenzen, wo ein Rechtsstreit nach den konkreten Gegebenheiten des Falles nur in einer ganz bestimmten Weise entschieden werden kann, eine andere Entscheidung also unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt denkbar ist. Dies gilt für den Erfolg einer Klage (BSGE 76, 59, 67 = SozR 3-5520 _20 Nr 1) wie für deren Abweisung (BSGE 75, 74, 77 = SozR 3-2500 _33 Nr 12) gleichermassen und ist vom 6. Senat des BSG ausdrücklich auch für den Fall der fehlerhaften Besetzung des Gerichts entschieden worden (BSGE 76, 59, 67 = SozR 3-5520 _20 Nr 1) .
14. 1. Im vorliegenden Fall war der Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht geKlärt und nicht umstritten. In rechtlicher Hinsicht kam eine andere Entscheidung, als die begehrte Leistung zuzusprechen, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht. Deshalb konnte der Senat in der Sache entscheiden und von der Zurückverweisung absehen.
15. 2. Massgebend ist hier _33 SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378) , weil bei Leistungsklagen, auch wenn sie – wie hier – mit einer Anfechtungsklage verbunden sind, grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung massgebend ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, _54 RdNr 34 mwN) . Nach _33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit hörhilfen, K_rperersatzstücken, orthop_dischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenst_nde des t_glichen Lebens anzusehen oder nach _34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach _33 Abs 1 Satz 4 SGB V umfasst der Anspruch auch die notwendige ’Ünderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsf_higkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Im vorliegenden Fall geht es um die Variante der Ersatzbeschaffung eines Hilfsmittels. Deren Tatbestandsvoraussetzungen sind hier erfüllt.
16. 3. Die Rechtswidrigkeit der Leistungsablehnung ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, dass dem Kläger im Jahre 1992 die Badeprothese bestandskr_ftig bewilligt worden war und diese jetzt nicht mehr funktionstüchtig und auch nicht mehr zu reparieren ist. Denn auch bei der Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln müssen s_mtliche Tatbestandsvoraussetzungen des _33 SGB V erfüllt sein (vgl BSGE 79, 261, 263 = SozR 3-2500 _33 Nr 21, S 114, sowie BSG SozR 4-2500 _33 Nr 11) . Die Kriterien der Eignung, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit und Erforderlichkeit (vgl _2 Abs 4, _12 Abs 1, _33 Abs 1 SGB V) sind also nicht nur für die erstmalige Ausstattung mit einem bestimmten Hilfsmittel massgeblich, sondern gelten auch für die Ersatzbeschaffung und sind deshalb wie bei der erstmaligen Bewilligung eines Hilfsmittels zu prüfen. Die Ersatzbeschaffung kann also nicht verlangt werden, wenn auch schon die erstmalige Bereitstellung dieses Hilfsmittels zum jetzigen Zeitpunkt nicht (mehr) beansprucht werden könnte. Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn die Krankenkasse in einer Art Grundbescheid festgestellt hat, dass ein Versicherter ein bestimmtes Hilfsmittel auf Dauer beanspruchen kann. Dann ist nur der beantragte Ersatz des Hilfsmittels auf seine Notwendigkeit hin zu prüfen. In aller Regel fehlt es aber an einem solchen Grundbescheid – und so auch hier. Wird ein Hilfsmittel antragsgemäss bewilligt, erledigt sich der Verwaltungsakt mit der ’“bergabe des Hilfsmittels an den Versicherten. Eine Dauerwirkung kommt dem Verwaltungsakt in solchen fällen nicht zu. Ob und in welcher Form in fällen der leihweisen ’“berlassung eines Hilfsmittels (_33 Abs 5 Satz 1 SGB V) etwas anderes zu gelten hat, kann hier offenbleiben, weil die Badeprothese seinerzeit übereignet worden ist.
17. 4. Die Leistungsablehnung ist rechtswidrig, weil die Badeprothese hier zum Behinderungsausgleich erforderlich ist. Dieser in _33 Abs 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannte Zweck (vgl jetzt auch _31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels hat zweierlei Bedeutung.
18. a) Im Vordergrund steht der Ausgleich der ausgefallenen oder beeintr_chtigten K_rperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des t_glichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeintr_chtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer K_rperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis. Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollst_ndig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 _33 Nr 8, jeweils RdNr 4 – C-leg-Prothese) . Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen.
19. b) Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Rahmen ist die GKV allerdings nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig. Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollst_ndigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl _1 SGB V sowie _6 Abs 1 Nr 1 iVm _5 Nr 1 und 3 SGB IX) , also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschliesslich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstst_ndiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten t_glichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des t_glichen Lebens betrifft. Nach st_ndiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des t_glichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare K_rperpflege, das selbstst_ndige Wohnen sowie das Erschliessen eines gewissen k_rperlichen und geistigen Freiraums (BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 _33 Nr 7; BSGE 91, 60, 63 = SozR 4-2500 _33 Nr 3; BSG SozR 3-3300 _14 Nr 14; stRspr) . Zum Grundbedürfnis der Erschliessung eines geistigen Freiraums gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw eines Schulwissens (BSG SozR 3-2500 _33 Nr 29 und 46; BSG SozR 4-2500 _33 Nr 11 RdNr 18). Zum k_rperlichen Freiraum gehört – im Sinne eines Basisausgleichs der eingeschr_nkten Bewegungsfreiheit – die F_higkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang “an die frische Luft zu kommen” oder um die – üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden – Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (zB Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung ausserhalb dieses Nahbereichs. Soweit überhaupt die Frage eines grässeren Radius über das zu Fuss Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind schon immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden (vgl BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 _33 Nr 7 – Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für Wachkomapatientin; BSG SozR 3-2500 _33 Nr 27 – Rollstuhl-Bike für Jugendliche; BSG SozR 3-2500 _33 Nr 46 – behindertengerechtes Dreirad; BSG SozR 2200 _182b Nr 13 – Faltrollstuhl) .
20. c) Dem Gegenstand nach besteht für den unmittelbaren ebenso wie für den mittelbaren Behinderungsausgleich Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmässige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 _33 Nr 26 S 153; stRspr) ; andernfalls sind die Mehrkosten gemäss _33 Abs 1 Satz 5 SGB V (ebenso _31 Abs 3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Demgemäss haben die Krankenkassen nicht für solche “Innovationen” aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloss besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschr_nken (BSG SozR 3-2500 _33 Nr 44; BSGE 93, 183, 188 = SozR 4-2500 _33 Nr 8).
21. 5. Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze über die Hilfsmittelversorgung im Rahmen der GKV beim unmittelbaren und mittelbaren Behinderungsausgleich (3. Variante des _33 Abs 1 Satz 1 SGB V und _31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) wird deutlich, dass die Beklagte und das LSG einen unrichtigen rechtlichen Ansatz gewählt haben. Sie haben die Ablehnung des Leistungsantrages des Klägers damit begründet, dass die Badeprothese in erster Linie dazu dienen solle, dem Kläger weiterhin den regelmässigen Besuch eines Schwimmbads zu ermöglichen; die Sportausübung und sonstige Freizeitaktivitäten z_hlten aber gerade nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des t_glichen Lebens. Damit haben sie f_lschlich die Grundsätze des mittelbaren Behinderungsausgleichs angewandt, obgleich hier allein die Grundsätze des unmittelbaren Behinderungsausgleichs heranzuziehen sind.
22. Beinamputierte Versicherte, die mit einer normalen Laufprothese versorgt sind, können von der Krankenkasse die zusätzliche Versorgung mit einer wasserfesten Prothese (Badeprothese, Schwimmprothese) verlangen, um sich zu Hause in Bad und Dusche sowie ausserhalb der Wohnung im Schwimmbad sicher und ohne Gefahr der Besch_digung der regelmässig nicht wasserfesten Alltagsprothese bewegen zu können. Massgeblich ist, dass eine Badeprothese – anders als die Beklagte und das LSG angenommen haben – dem unmittelbaren Behinderungsausgleich beinamputierter Versicherter dient und ihnen im heimischen Nassbereich sowie im Schwimmbad ein sicheres Gehen und Stehen ermöglicht. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Besuch eines Schwimmbades einer sportlichen Betätigung bzw einer Freizeitbeschäftigung dient (Schwimmen, Wassergymnastik) und solche Aktivitäten nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des t_glichen Lebens gehören. Dem Anspruch auf Versorgung mit einer Badeprothese kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es am Markt Kunststoff-’“berzüge gibt, die über die vorhandene Alltagsprothese zu ziehen sind und diese vor Wassersch_den schützen. Dabei handelt es sich nicht um eine in vollem Umfang gleichwertige Versorgungsalternative.
23. a) Beinprothesen sind K_rperersatzstücke gemäss _33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Sie dienen dem unmittelbaren Ersatz des fehlenden K_rperteils und dessen ausgefallener Funktion. Sie sind auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet und dienen der medizinischen Rehabilitation, ohne dass zusätzlich die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des t_glichen Lebens zu prüfen ist, wie es bei Hilfsmitteln erforderlich würe, die nur die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen sollen. Bei einer Beinprothese geht es um das Grundbedürfnis auf möglichst sicheres, gefahrloses Gehen und Stehen, wie es bei nicht behinderten Menschen durch die Funktion der Beine gewährleistet ist. Diese Funktion muss in möglichst weitgehender Weise ausgeglichen werden (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 _33 Nr 8 – C-leg-Prothese).
24. b) Hieran ist anzuknüpfen, wenn es um die Versorgung mit einer Badeprothese geht. Die normale Beinprothese hat einen Gebrauchsnachteil, weil sie nicht dort zu verwenden ist, wo der Benutzer beim Gehen und Stehen mit Wasser in Kontakt kommt. Durch den Kontakt mit Wasser besteht die grosse Gefahr einer Besch_digung, sodass die Beklagte zur Reparatur bzw zum Einsatz verpflichtet würe, was erhebliche Kosten verursacht. Ausserdem ist der Fuss einer normalen Laufprothese so ausgelegt, dass er mit Schuhen getragen wird. Im Schwimmbad ist das Tragen von Strassenschuhen in aller Regel verboten. Ohne Schuhe besteht eine besondere Rutschgefahr. Unterarmgehstützen bieten nicht den gleichen Halt wie eine Beinprothese und sind für die Gang- und Standsicherheit nur erg_nzend heranzuziehen. Die normale Laufprothese ist beim Aufenthalt in und am Wasser (Schwimmbad, Fluss, See) ungeeignet. Dieser Gebrauchsnachteil wird durch die zusätzliche Ausstattung mit einer Badeprothese kompensiert. Die Badeprothese gleicht praktisch das Funktionsdefizit der Alltagsprothese im Nassbereich aus.
25. c) Nicht abzustellen ist auf das Schwimmen als Freizeitbetätigung. Wie bereits ausgeführt, dient die Badeprothese dem unmittelbaren Behinderungsausgleich beinamputierter Versicherter und ermöglicht ihnen im heimischen Nassbereich sowie im Schwimmbad ein sicheres Gehen und Stehen; auf die Frage, ob ein Grundbedürfnis betroffen ist, kommt es mithin nicht an. Darüber hinaus stellt die Ausübung von sportlichen Aktivitäten aber auch kein allgemeines Grundbedürfnis des t_glichen Lebens dar; dies gilt für den Freizeit- und Berufssport gleichermassen. Es ist deshalb nicht von Bedeutung, dass dem Freizeitsport und insbesondere dem Schwimmen in der Regel eine gesundheitsFördernde Wirkung zukommt und beinamputierte Menschen von den Vorteilen des Schwimmens besonders profitieren. Zudem ist zu berücksichtigen, dass man mit einer Badeprothese zwar schwimmen kann, viele Betroffene auf das Anlegen der Prothese beim Schwimmen aber verzichten, weil sie wegen des Auftriebs eher hinderlich ist (vgl AOK/MDK-Protokoll vom 30.1.2006).
26. d) Soweit nach der früheren Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 10.10.1979 – 3 RK 30/79 – SozR 2200 _182 Nr 55) der Anspruch auf Versorgung mit einer Badeprothese auch auf die “Bedeutung des Schwimmens für die Gesunderhaltung im Allgemeinen und des Versehrtenschwimmsports für die k_rperliche Ertüchtigung des behinderten Versicherten im Besonderen” gestützt worden ist, stellt der Senat fest, dass dieser Aspekt weder der heutigen Lebenswirklichkeit entspricht noch in der Sache entscheidungserhebliche Bedeutung besitzt. Etwas anderes kann allerdings bei vertrags_rztlich verordneter sportlicher Betätigung als erg_nzende Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach _44 SGB IX gelten, n_mlich beim sog Reha-Sport (_44 Abs 1 Nr 3 SGB IX) und beim Funktionstraining (_44 Abs 1 Nr 4 SGB IX). Nach der “Rahmenvereinbarung über den Reha-Sport und das Funktionstraining” vom 1.1.2007 untergehört zu den Reha-Sportarten das Schwimmen (Ziffer 5.1) und zu den Funktionstrainingsarten die Wassergymnastik (Ziffer 6). Die dazu erforderlichen Hilfsmittel werden nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen erbracht (Ziffer 17.3). Eine dafür erforderliche vertrags_rztliche Verordnung liegt hier aber nicht vor.
27. e) Im häuslichen Bereich (Bad, Dusche) muss sich ein Versicherter nicht auf Badewannenlifter, Duschhocker, Unterarmgehstützen und rutschfeste Matten verweisen lassen. Der unmittelbare Behinderungsausgleich durch ein K_rperersatzstück hat Vorrang gegenüber einem nur mittelbaren Ausgleich. Die genannten weiteren Hilfsmittel sind, soweit erforderlich, nur erg_nzend zur Verfügung zu stellen, soweit es sich nicht – wie die rutschfesten Matten – um allgemeine Gebrauchsgegenst_nde des t_glichen Lebens handelt.
28. Der Vorrang des unmittelbaren Behinderungsausgleichs vor dem mittelbaren l_sst sich auch aus dem Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen (Art 3 Abs 3 Satz 2 GG) und aus dem Gebot gleichberechtigter Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (_1 SGB IX) ableiten. Ausserdem ist in diesem Zusammenhang bei berechtigten Anliegen das Wunsch- und Wahlrecht der Versicherten nach _9 SGB IX zu berücksichtigen. Hierzu gehört auch der vom Kläger betonte Gebrauchsvorteil der Badeprothese für n_chtliche Toilettengänge.
29. 6. Die Beklagte kann den Kläger nicht auf den angebotenen Kunststoff-’“berzug verweisen, weil es sich dabei nicht um eine gleichwertige Versorgungsalternative handelt. Dieser Latexüberzug wurde in der Vergangenheit unter der Bezeichnung “Xero-Sox” vertrieben. Mittlerweile wird das Produkt überwiegend unter den Artikelnamen “Dry-Pro Waterproof Cast Protector” bzw “Dry-Pro Wasserdichter K_rperschutz” angeboten, und zwar in den Varianten Wasserdichter Armschutz, Beinschutz, Stomaschutz, Katheterschutz und Prothesenschutz.
30. In den Internet-Auftritten des deutschen Vertriebsunternehmens sowie des britischen Herstellers ( http://www.drypro.de/gebrauchsanweisung.htm sowie http://www.squidoo.com/drypro ) findet sich unter dem Stichwort “Gebrauchsanweisung” folgender Warnhinweis: “Bitte beachten: Lassen Sie den Dry Pro nicht zu lange an. Wir empfehlen eine maximale Tragedauer von 45 Minuten. Keine Anwendung bei gef_sskranken Menschen. Halten Sie sich in nassen oder rutschigen Umgebungen fest. Dieses Produkt enth_lt natürliche Kautschukmilch. Verwenden Sie dieses Produkt nicht, wenn Sie auf Latex allergisch reagieren. Befolgen Sie in jedem Fall die Anweisungen Ihres Arztes.”
31. Die eingeschr_nkte Tragedauer und das Trageverbot für Menschen mit Gef_sserkrankungen stellen im Vergleich zu einer Badeprothese einen deutlichen Gebrauchsnachteil dar. Im ’“brigen wird der Dry Pro-Beinschutz in den Internet-Auftritten in erster Linie als N_sseschutz für Gipsverb_nde, Bandagen und Wundverb_nde beworben; die Verwendungsmöglichkeit als Prothesenschutz wird lediglich erg_nzend erwähnt. Daraus ergibt sich in einer Gesamtbetrachtung, dass der Latexüberzug nicht in gleichem Umfang zum sicheren Gehen und Stehen in Nassbereichen geeignet ist wie eine Beinprothese. Auf die Frage, ob ein Versicherter den Latexüberzug allein wegen seiner optischen Wirkung ablehnen könnte (_9 SGB IX sowie _33 SGB I) , kam es daher nicht an.
32. 7. Die Kostenentscheidung beruht auf _193 SGG.
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