Eine Übersicht über die Rechtslage zum Behinderungsausgleich und zum Procedere bei der Hilfsmitteldatenbank
In den letzten Jahren ist, nicht zuletzt wegen der Innovationen der Industrie, eine Vielzahl von Urteilen ergangen, die sich mit den Rechtsansprüchen von behinderten und kranken Menschen mit zeitgemässen Hilfsmittel befassen. Zuvor führte die Kostentragung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen kaum zu Streit. Insbesondere das Bundessozialgericht hatte über fälle zu entscheiden, mit denen sich die Gerichte bislang nicht zu befassen hatten. Die bestehenden Gesetze sind dabei vom Gericht auf den Einzelfall bezogen auszulegen.
Für die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen legt das Gesetz sehr allgemein fest, dass Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel besteht, um eine Behinderung auszugleichen, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern (Î_33 SGB V). Die Versorgung muss zweckmässig und ausreichend sein und darf das Mass des Notwendigen nicht überschreiten (Î_12 SGB V). Die Versorgung hat den allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (Î_2 SGB V). Berechtigten Wünschen des behinderten Menschen ist bei der Ausführung von Leistungen Rechnung zu tragen (Î_9 SGB lX). Die Kostenträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass der Versicherte seine Leistungen in zeitgemässer Weise, umfassend und zügig erh_lt (Î_17SGB l). Sie haben die Versicherten über die möglichen Leistungen zu beraten und haben darauf hinzuwirken, dass zweckdienliche Anträge gestellt werden (Î_Î_14,15SGB l). Der notwendige Sachverhalt ist von der Krankenkasse von Amts wegen selbst zu ermitteln. Dabei hat sie auch die für sie ungünstigsten Umst_nde zu berücksichtigen (Î_20 SGB X).
Anhand dieser Rechtslage haben die Gerichte zu entscheiden und die Gesetze am Einzelfall auszulegen. Sie kamen dabei zu den folgenden Entscheidungen:
Stellt ein Versicherter bei einem Öffentlichen-rechtlichen Kostenträger einen Antrag auf Versorgung mit einem bestimmten Hilfsmittel, so hat er den Patienten über seine Versorgungsmöglichkeiten zu beraten. Der Kostenträger versteht sich dabei nicht als Gegner des Versicherten. Er hat alles erforderlich zu tun, um dem Versicherten zu der medizinischen notwendigen Versorgung zu verhelfen. Eine gesetzliche Krankenkasse hat auf eigene Kosten eine Probeversorgung durchzuführen, wenn dies der einzige Weg ist festzustellen, ob der Versicherte mit dem Hilfsmittel zurechtkommt. Dies gilt sogar dann, wenn nach der Probeversorgung sich herausstellt, dass der Patient das Hilfsmittel doch nicht nutzen kann und es vergebens gebaut wurde. Die Krankenkasse hat dem Versicherten auch Sanitätshäuser zu benennen, die vertraglich an die Krankenkasse gebunden sind. Entgegen der landl_ufigen Meinung ist für die Hilfsmittelversorgung nicht zwingend ein _rztliches Rezept erforderlich (BSG B 3 KR 05/10 R).
Kann die Krankenkasse die Notwendigkeit des Hilfsmittel nicht mit eigenem Fachwissen prüfen, so kann sie den Medizinischen Dienst (MDK) einschalten (Î_275 Abs. 3 SGB V). Einen anderen privaten Gutachterdienst darf die Krankenkasse nicht einschalten (Î_275 Abs. 4 SBG V). Die Prüfer des MDK müssen órzte oder Mitglieder andere Heilberufe z.B. Orthopädietechniker oder Physiotherapeuten sein (Î_279 Abs. 5 SGB V). Die órzte sind unabh_ngig und nur ihrem Gewissen unterworfen. Sie dürfen aber nicht in die Behandlung des verordnenden Arztes eingreifen, sondern nur ihre Fachmeinung _ussern (Î_275 Abs. 5SGB V). Erfüllt der MDK seine Aufgaben nicht ordnungsgemäss und entsteht dem Patienten dadurch bspw. durch eine Unterversorgung ein Schaden, so muss der MDK diesen Schaden gegeben falls auch durch Zahlung eines Schmerzensgeld ersetzen (BGH, 22.06.2006 & III ZR 270/05). Ein solcher Schadensersatzanspruch kann entstehen, wenn der begutachtende Arzt entsprechend seiner Facharztausbildung die Versorgung mit einem innovativen Hilfsmittel verkennt und es bei dem Patienten hierdurch zu einem vermeidbaren Sturz oder _hnlichem gekommen ist. Auch die Krankenkasse kann zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn sich der Sachbearbeiter auf ein erkennbar falsches oder unzureichendes Gutachten verl_sst oder das Verfahren grundlos in die L_nge gezogen wird (LG Ellwangen 3 O 97/089).
Das Wahlrecht im Hinblick auf das konkrete Passteil steht dem Patienten selbst zu. Er selbst kann am besten beurteilen, welches Hilfsmittel für seinen Alltag am besten geeignet ist (BSG B 3 KR 12/05R; BSG B 3 KR 16/99 R). In der prothetischen Versorgung hat der Patient einen Anspruch auf möglichst weitgehenden Ausgleich der Behinderung nach dem Stand der Medizintechnik. Der Massstab ist hierbei der gesunde Mensch, zu dessen F_higkeiten der behinderte Mensch wieder aufschliessen soll (BSG B 3 KR 16/99 R). Dem behinderten Menschen soll die bestmögliche Versorgung zukommen (BSG B 3 KR 28/05 R). Ein neu auf dem Markt befindliches Hilfsmittel darf nicht deshalb verweigert werden, weil es nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist oder keine klinischen Studien vorliegen (BSG B 3 KR 28/05 R). Ausreichend ist vielmehr, dass das Hilfsmittel über eine CE-Kennzeichnung verfügt (BSG B 3 KR 06/04 R). Dann gilt es als ausreichend sicher und ist marktf_hig.
Es darf zudem nicht darauf verwiesen werden, der bislang erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, so dass auch eine noch funktionierende Prothese durch ein neu eingeführtes Passteil ersetzt werden kann (BSG B 3 KR 10/10 R).
Obwohl eine Hilfsmittelversorgung wirtschaftlich sein muss, bedeutet dies nicht, dass der Patient nur das nötigste erh_lt. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des Kankenversicherungsrechtes ist gerade keine Kosten-Nutzen-Rechnung (B 3 KR 68/01 R). zunächst ist festzustellen, welches Hilfsmittel dem Patienten am besten hilft. In einem nächsten Schritt darf dann geprüft werden, ob ein Hilfsmittel mit den identischen Funktionen auch günstiger am Markt zu haben ist (BSG B 3 KR 28/08 R). Erst wenn eine Alltagsnutzung im Vergleich zu einem erheblichen Mehrpreis eher gering ist, kann die Kostenübernahme durch die Krankenkasse abgelehnt werden. Wann ein Alltagsnutzen in diesem Sinne gering ist, hat die Rechtsprechung bislang jedoch offen gelassen (BSG B 3 KR 09/10 R).
Eine Prothesenversorgung hat jedoch die verloren gegangene K_rperfunktion so weit wie möglich zu ersetzen. Dies gilt auch für den Anspruch des amputierten Anwenders, sich in Nassbereichen aufhalten zu dürfen. Nicht nur dass der Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit einer wasserfesten Prothese hat, so hat dieser dem Versorgungsstandard der Alltagsprothese zu entsprechen (BSG B 3 KR 19/08 R). Der Patient kann also bei der Versorgung mit einer Oberschenkelbadeprothese nicht auf eine Versorgung ohne Knie oder mit einem funktionell minderwertigen Fuss verwiesen erden. Gleiches gilt für die Versorgung mit einer Unterschenkelprothese.
Für Sie zusammengestellt von:
Rechtsanwaltskanzlei Müller & Dr. Paul
Strengerstrasse 2
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